Wie es funktioniert

 

Es tönt ganz einfach, was wir noch nassen Alkoholikern empfehlen: Lass das erste Glas stehen! (Witzbolde antworten: Dann schenke ich mir zwei Gläser ein, und nehme das zweite...). Was simpel tönt, ist oft auch für willensstarke Persönlichkeiten schwierig. Viele Alkoholkranke fallen lange Zeit nicht auf, erfüllen die Erwartungen des Berufs- und Familienlebens. Hier funktioniert die Willenskraft noch einigermassen. Nicht aber bei der Versuchung, zu trinken. Wir fangen auf dem Weg zur Genesung deshalb mit kleinen Schritten an. Nur für heute. Versuch 24 Stunden lang Deinen Willen so zu konzentrieren, dass Du nichts trinken musst. Und wenn Dich 24 Stunden überfordern, wähle kleinere Einheiten. 12 Stunden, 6 Stunden, 4 Stunden, 3 Stunden. Wenn Du dieses Ziel erreicht hast, sei stolz auf Dich. Aber belohne Dich dann möglichst nicht mit Alkohol. Hänge neue 24 Stunden an, oder neue 12 Stunden, 6 Stunden, 4 Stunden, 3 Stunden.

 

Hier Erfahrungen der Oltner Gruppe 1988 zu diesem Thema(Dezember 2020).

 

Trocken werden – es gibt kein Patentrezept

 

H. (♂ *1941): Wegen alkoholbedingten Leberbeschwerden ging ich einst zum Hausarzt. Nach einem Jahr ohne Alkohol ging’s wieder besser. Der Hausarzt erlaubte mir dann, ein oder zwei Glas Wein im Tag zu trinken. Er begriff den Ernst meiner Lage nicht. Sein Freipass machte mich zum Quartalssäufer. Ein Glas Wein öffnete bei mir die Schleusen. Mit 47 kam ich zu AA. «Du schaffst es, aber Du schaffst es nicht allein», heisst es bei AA. Die AA-Freundinnen und –Freunde haben mir geholfen. Aber im Lauf von mehr als drei Jahrzehnten war ich nicht vor einigen Rückfällen bewahrt. Ich weissunterdessen, dass ich nicht zum ersten Glas greifen darf. Ich bin ein geselliger Mensch, verkehre an Stammtischen. Da akzeptiert man, dass ich keinen Alkohol trinke. Aber wenn’s zu feucht-fröhlich wird, trete ich den Heimweg an. Dann wird es für mich allzu gefährlich. 

 

J. ( *1969): Kurz vor dem sicheren zu Tode-Saufen liess ich mich in die Psychiatrische Klinik in Solothurn einweisen. Nach drei Monaten wechselte ich ins Wysshölzli in Herzogenbuchsee. In dieser Zeit wurde die Grundlage für meine Trockenheit gelegt. Allmählich wurde mir bewusst, dass es ein Leben ohne Alkohol gibt. Die Frage «Was hast Du überhaupt ohne Alkohol?» begann sich zu lösen. Eine Freundin riet mir, bei AA mitzumachen. Ich habe ihren Ratschlag befolgt. AA hat mir geholfen. In der Folgezeit war ich mit harten Problemen konfrontiert: Trinken musste ich trotzdem nicht mehr.

 

T. ( *1954):  Ich schlitterte allmählich ins Alkoholproblem hinein. Der Hausarzt versuchte mir medikamentös zu helfen. Ich habe heute keine Alkoholproblem mehr; die Gruppe hat mir dabei geholfen. Aber leider bin ich in ein Medikamentenproblem hineingerutscht. Trocken bin ich geworden, aber gesund bin ich noch nicht. 

 

M. (♂ *1974):  Zur Zeit bin ich trocken. Ich kam über einen Umweg zu AA. Hilfe suchte ich, weil mir bewusst war, dass ich zu viel trank. Aber als Alkoholiker hätte ich mich lange Zeit nicht definiert. Der Psychologe riet mir, sofort mit Trinken ganz aufzuhören.  Ich habe es versucht. Unterstützt durch die Besuche der Meetings ging das recht gut. Aber es kam zu Rückfällen, verbunden mit Schuldgefühlen, mit schlechtem Gewissen. 

 

R. ( *1952): Schon früh habe ich gewusst, dass ich ein abnormes Trinkverhalten habe und bald auch einmal, dass ich Hilfe brauche, aber ich habe sie nicht konsequent angenommen. Die ersten AA-Meetings habe ich vor Jahrzehnten besucht, und dann wieder damit aufgehört. Ich glaubte, das Problem im Griff zu haben. Mit oder ohne Alkohol, ich war beruflich erfolgreich. Aber ohne AA-Besuche wurde ich vom Genusstrinker zum Suchttrinker. So ging das mehrmals. Seitdem letzten Rückfall vor einigen Jahren lebe ich ohne Alkohol. Es ist mir bewusst, dass ich nicht zu den wenigen Auserwählten gehöre, die nach dem exzessivem Trinken zum gediegenen kontrollierten Trinken zurückfinden. Seit einigen Jahren bin ich wieder trocken, weil ich weiss, dass der Verzicht aufs Trinken mit einem Gewinn an Lebensqualität verbunden ist. 

 

U. ( *19??):  Mitte der neunziger Jahre geriet mein Alkoholkosum ausser Kontrolle. Angefangen hatte alles ganz gemütlich und gesellig mit zwei, drei Feierabendbier. Und ein erstes Ende nahm das mit einer Kündigung: «Sie haben ein Alkoholproblem». Die Einsicht kam aber erst, als ich Kantonsspital lag, bzw. nach einem Rückfall in einer Privatklinik eindringlich aufgefordert wurde, ohne Alkohol zu leben. Die Mittwochgruppe Olten hat mir geholfen auf der Bahn zu bleiben. Mehr als zwei Jahrzehnte lebe ich nun trocken. 

 

F. ( *1946):  Trocken werden ist ganz einfach, und gleichzeitig verdammt schwer. Ich musste durch fünf Entziehungskuren. Erst nach der letzten klappte es. Vorher ging es nicht, weil ich immer hoffte, gediegen, kontrollierttrinken zu können. Den Ärzten, die meinen kaputten Körper wieder instande gestellt haben, mir geholfen haben, in ein trockenes Leben zu finden, bin ich noch heute dankbar. Ich habe zwei Anläufe bei AA gebraucht. Beim zweiten wurde ich so herzlich aufgenommen wie beim ersten. Glücklicherweise brauchte es keinen dritten. Ich bin habe seit mehreren Jahrzehnten kein falsche Weiche mehr erwischt, bin schön auf der Spur geblieben. Es hat sich gelohnt.

 

P. ( *1945):  Ich wusste schon lange bevor ich zu AA gekommen bin, dass ich Alkoholiker war. Die Selbsttherapie war erfolglos. Anläufe mit professioneller Hilfe brach ich ab.Versuchs, nur für 24 Stunden und häng dann wieder einen Tag an, sagte man mir im ersten Meeting. Am Morgen des 7. Tages kaufte ich mir wieder eine Flasche Wodka. Am Mittag telefonierte ich mit meiner Partnerin. «Du hast wieder getrunken», stellte sie zutiefst enttäuscht fest. Ich leerte die Flasche aus und ging am Abend ins zweite Meeting. Vermutlich hat man dort realisiert, dass ich nicht ganz nüchtern kam; aber ich war herzlich willkommen. Seither habe ich mein Problem im Griff.

 

D. ( *1985): Ich musste meinen Tiefpunkt erreichen um Hilfe einzuholen.

Nach aussen sah bei uns damals wohl alles nach glücklicher junger Familie aus. Ich brachte mein Geld nachhause, war körperlich fit. Glücklicherweise merkte mein Vater, dass aber etwas nicht stimmte. «Wenn Du weiter so trinkst, machst Du Deine Familie kaputt», sagte er mir.  Ich war mir des Problems bewusst, und habe mich in eine Klinik einweisen lassen. Seither besuche ich regelmässig die Meetings der OltnerMittwochgruppe und nehme auch professionelle Hilfe in Anspruch. Für mich steht ausser Zweifel, trocken werden ist ein langer Prozess. Mehr und mehr arbeite ich Belastungen und Schuldgefühle ab.

 

Trocken bleiben – und auch da gibt es kein Patentrezept

 

H. (♂ *1941): Die regelmässigen Meetingsbesuche helfen mir, das erste Glas nicht zu leeren. Die grösste Gefahr lauert aber bei mir zuhause. Seit meiner nassen Zeit – und das ist lange her – stimmt mein Eheleben nicht mehr. Ich ertrage die ständigen Vorwürfe, das Aufwärmen von längst Vergangenem nicht. Solche Konflikte führen mich immer wieder in die Nähe des Alkohols. In ein paar Wochen fahre ich mit meiner Frau in die Ferien. Ich hoffe, dass es dann endlich zu einer Aussprache kommt, die zu einem harmonischeren Zusammenleben führen könnte.

 

J. ( *1969): Vier Dinge helfen mir, trocken zu bleiben. 

Erstens die Höhere Macht, wie ich sie verstehe. Sie hilft mir nicht nur, ein trockenes Leben zu führen. Sie gibt mir auch Kraft, all die Probleme zu bewältigen, mit denen ich konfrontiert bin. 

Zweitens hilft mir eine klare Tagestruktur. Ich halte mich an diese Struktur, ob ich dazu Lust habe oder nicht.

Drittens weiss ich jetzt, wie wertvoll echte Freundschaften sein können. An Problemen, Lasten trage ich weniger schwer, wenn ich sie teilen kann.

Und viertens helfen mir die Meetings in unserer Mittwoch-Gruppe.

 

T. ( *1954):  Ich kann leben ohne Alkohol. Aber mein Mann macht es mir dabei nicht leicht. Er ist kein Alkoholiker. Aber Alkohol gehört zu seinem Wohlbefinden. Das heisst, dass Alkoholika bei uns stets vorhanden sind. Er hat mir auch schon gesagt, dass er es bedauere, dass er mit mir nicht ein Glas Wein trinken könne. Es wäre leichter, trocken zu bleiben, wenn ich mit mehr Verständnis rechnen könnte.

 

M. ( *1974): Ich muss auf die Warnsignale achten, die in mir aufblinken, bevor es wieder kritisch wird. Ich lerne die Sensoren immer besser beachten, die ein möglichen Unheilankündigen. Wenn ich diese Vorwarnzeit richtig nutze, gelingt es mir einen Ausrutscher oder Absturz zu verhindern. Vermutlich mache ich jetzt durch, was man eine Midlife Crisisnennt. Die quälenden Gefühle und Befindlichkeiten machen es nicht ganz einfach, trocken zu bleiben.

 

R. ( *1952): In erster Linie hilft mir der Besuch der Gruppe. Ich habe lange Zeit einen Psychologen besucht; aber dort bist irgendwann austherapiert. AA kannst Du solange besuchen wie Du willst, ist also viel nachhaltiger.

Auch habe ich gemerkt, dass ich doppelt so viel mich machen muss, wenn es mir gut geht. Als Rentner bin ich kaum je mit Stress und Ärger konfrontiert. Negative Ereignisse, die herunterschwemmen müsste, treffen mich nur noch selten. Ich belohne mich nicht mehr mit Alkohol, dafür mit Sport und Ausflügen. 

Zu meiner Stabilisierung hilft eine klare Tagesstruktur. So kommt keine Langeweile auf. In der Tagesplanung hat vieles Platz. Anderes wie etwa ein Stammtischbesuch ist ausgeschlossen. 

Die 24-Stunden-Regel ist eine gute Hilfe. Wenn ich in Situationen komme, wo getrunken wird, vergegenwärtige ich sie mir. Dann sage ich mir: «Die nächsten 24 Stunden rühre ich keinen Alkohol an. Ich will mir keinen Rückfall leisten.»Denn ich weiss nicht, ob ich vor meinem Tod wieder aufhören könnte zu trinken. 

 

U. ( *19??): Als ich trocken leben wollte, habe ich mein Umfeld radikal geändert. In die Beizen von einst gehe ich nicht mehr. Die eine oder andere Freundschaft musste aufgelöst werden. 

An heissen Tagen, wenn ich in einer Gartenwirtschaft die Gläser mit kühlem Bier auf den Tischen sehe, kommt in mir nach vielen Jahren Trockenheit immer noch der Gluscht auf. Aber ist nur ein kurzes Reissen. Ich vergegenwärtige mir dann das elende Vorher und das gute Nachher: Nass scheiterte ich in fast allen Belangen, trocken konnte ich eine berufliche Karriere erleben, wie ich sie mir nicht im Traum vorgestellt hätte. Und ganz wichtig ist mir auch, dass mit dem Abschied vom Alkohol die Beziehung zu meiner Frau gerettet werden konnte. Wir sind jetzt vierzig Jahre zusammen.

 

F. ( *1946): Als ich soff, war ich kein besonders guter Berufsmann und habe mich kaum um die Familie gekümmert. Trocken schätzte man mich bei der Arbeit und zuhause. Mit den Erfolgen kam mein Selbstwertgefühl zurück. Ich bin ein bisschen stolz auf das Erreichte. Ich meine, dass dieser Stolz, der Glaube an die eigenen Qualitäten, mithelfen kann, trocken zu bleiben. 

 

P. ( *1945):  Seit ich trocken leben will, meide ich Anlässe, wo getrunken wird. Da ich ohnehin ein eher einsiedlerisches Naturell bin, fällt mir das nicht schwer. Am meisten trank ich einst zuhause. Deshalb gibt es in meiner Wohnung keinen Alkohol mehr. Ich will mich nicht in Versuchung führen. Ich weiss, dass auch eine Flasche Kochwein vor mir nach wie vor nicht sicher ist.

 

D. ( *1985):  Ein liebevolles Umfeld kann mir helfen, trocken zu bleiben. Nun fällt das einem ja nicht einfach zu. Liebe ist ein Geben und Nehmen. Ich muss etwas tun, damit es in der Familie und am Arbeitsplatz stimmt. Aber gleichzeitig lebe ich auch einem gesunden Egoismus nach. Ich reserviere mir in Absprache mit der Familie Eigenzeit ,unternehme zum Beispiel ganz allein lange Wanderungen. Mit sich selbst in Frieden zu sein ist eine wichtige Voraussetzung, um die zerstörerische Macht des Alkohols zu bannen.